Iris Koppmann: Aus Frauenpower in den politischen Lehrjahren wird ein scharfer juristischer Blick auf „alte Zöpfe“ und die Benachteiligung von Frauen

 

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Iris Koppmann und ich treffen uns in einem kleinen Cafe in der Nähe ihrer Kanzlei mitten in Köln. Sehr schnell sind wir in ein munteres Gespräch verwickelt. Sie erzählt zunächst von ihrer Kindheit und Jugend.

Als Einzelkind aufgewachsen – ihr Bruder war sehr früh verstorben – ist sie die erste in der Familie mit Abitur und Hochschulabschluss. Ihr Vater, ein Maschinenschlosser, war der Meinung, Frauen müssten nicht studieren, sie sollten heiraten und Kinder bekommen. Sie meint, ihre Eltern seien mit 36 und 37 Jahren für die damalige Zeit bei ihrer Geburt schon recht alt gewesen, was Einfluss auf ihre Erziehung hatte. Ihrer Meinung nach hatten der Zweite Weltkrieg und die gesamte nationalsozialistische Zeit die Generation ihrer Eltern in der Erziehung  erkennbar beeinflusst. Iris erinnert sich, dass sie heftig dagegen angekämpft hat. Dabei war sie eine gute Schülerin, das gab ihr Selbstbewusstsein und Mut. Es hatte sehr lange gedauert, bis ihr Vater einverstanden war, ihr Studium zu finanzieren. Er selbst hatte es inzwischen vom Maschinenschlosser zum Manager geschafft, und er schaute oft abschätzig auf Menschen, die sich „dumm studiert“ hätten.

Wichtig für ihre Entwicklung findet sie, dass die Familie ihres Vaters sozialdemokratische bzw. kommunistische Wurzeln hat. Zwei Tanten, mit denen sie viel Kontakt hatte, waren damals in der DKP und der Friedensbewegung aktiv. Die eine Tante ist Martha Mense, nach der rechtsrheinisch sogar eine Straße benannt ist. Beide haben Iris´ Kindheit stark geprägt. Sie spricht zum Beispiel von „wilden politischen Diskussionen“ in der Familie.

Für Iris war die Orientierung in der SPD selbstverständlich, als sie 1985 mit dem Studium der Rechtswissenschaften beginnt. Auch die Eltern waren SPD-orientiert, aber nicht Mitglied. Der Vater schätzte die für die Partei programmatische „Durchlässigkeit“. Iris wurde zunächst bei den Jusos aktiv. Hier entstand dann auch die „Frauenarbeit“, am Anfang als Arbeitskreis. Ein wichtiges Ereignis, das sie aus dieser Zeit in Erinnerung behalten hat, war die Übernahme und Präsentation einer Fotoausstellung „Frauenpower“, die sie mit anderen zusammen aus Berlin nach Köln geholt hatte, und die einigen Wirbel verursachte.

Wichtig war für sie auch ihre DDR-Erfahrung, die durch  private Urlaube und Treffen mit FdJ-Frauen entstanden war. Es wurde ihr damals klar, dass auch im sozialistischen Deutschland Unterdrückung der Frauen herrschte,  dass die Männer die „Paschas“ waren und auch hier in keiner Weise Gleichheit der Geschlechter herrschte – nur eben anders ausgeprägt als in West-Deutschland. Es herrschte hier wie dort die Einstellung: „Frauenfrage ist nur Nebenfrage“. Diskutiert wurde oft, dass bei Lösung des gesellschaftlichen Grundproblems (Ungleichheit) auch die Frauenfrage gelöst sei. Iris war da anderer Meinung.

Sie machte viel Ortsvereins-Arbeit, kam dann – inzwischen als fertige Juristin –  zum Arbeitskreis sozialdemokratischer Juristen. Eins ihrer Schwerpunktthemen wurde das Gewaltschutzgesetz. Es beschäftigte sie sowohl beruflich als auch in der SPD. 2001 kam sie in die ASF und kandidierte dort bald für den Vorstand. In dieser Zeit war die ASF maßgeblich daran beteiligt, das Gewaltschutzgesetz auf den Weg zu bringen. Die Parteitage waren nach ihrer Erinnerung damals harter Kampf. Das Gewaltschutzgesetz wurde schließlich 2001 verabschiedet (geändert 2021).

In dieser Zeit, berichtet Iris, hat sie zahlreiche Frauen mit Gewalterlebnissen aus aller Welt beraten. „Es war „Knochenarbeit“, sagt sie. Oft war allein das Sprachproblem eine fast unüberwindliche Hürde . Hinzu kam, dass es den Frauen meist sehr schwer fiel, sexuelle Belästigungen und Belastungen überhaupt zu schildern. „Es war eine ungesunde Zeit“, sagt Iris.

Von 2003 bis 2008 war Iris dann nach einer Kampfkandidatur Vorsitzende der ASF. 2005 und 2010 kandierte sie auch für den Stadtrat in der Kölner Innenstadt.

In dieser Zeit war auch ihr Mann verstorben und sie war alleinerziehend für zwei kleine Kinder da (5 und 10 Jahre alt). Trotzdem, sagt sie, habe sie immer Glück im Unglück gehabt und viel Hilfe erhalten.

Im UB-Vorstand kämpfte sie als Vorsitzende der ASF heftig mit, und in der ASF initiierte sie zahlreiche Veranstaltungen wie z.B. auch Freizeitangebote für Frauen. In Erinnerung ist ihr dabei ein sehr erfolgreicher Filmabend über Frida Kahlo. Podiumsdiskussionen zu Gewaltprävention und Umsetzung des Gewaltschutzgesetzes gehörten mit zu den immer wieder bearbeiteten Themen und Veranstaltungen.

Auf die Frage, was in ihrer Zeit als ASF-Mitglied und -Vorsitzende Wichtiges erreicht wurde, nennt sie genau das Gewaltschutzgesetz und die flankierenden Veranstaltungen für die Frauen vor Ort. Aber sie erwähnt auch eine ihrer großen Enttäuschungen: das Namensrecht, das viel mit Identität zu tun hat. Hier hätten wir in Deutschland sehr lange konservative Entwicklungen erlebt. Erst seit relativ kurzer Zeit ist das Namensrecht so frei, wie Frau es sich wünscht. Nach ihrer Beobachtung ist dabei aber erkennbar – und das erscheint ihr sehr bedenklich – dass diese Freiheit kaum angenommen wird.

Ich frage in diesem Zusammenhang die ehemalige ASF-Vorsitzende und praktizierende Familienanwältin:

„Warum fallen so viele junge Frauen mit der Geburt des ersten Kindes ins vorige Jahrhundert zurück?“

Iris erläutert: In Deutschland existiert eine massive Mutterdefinition: „Ich bin doch die Mutter“. „Das Kind gehört zur Mutter“. Letztlich steckt dahinter immer noch der nationalsozialistische Muttergedanke, der ganz manipulativ auf Reproduktion orientiert war. Iris berichtet, das bis Mitte der 80er Jahre in den Fachschulen für Erzieherinnen (Männer gab es da noch nicht) oft noch das Werk von Johanna Harrer die „wissenschaftliche“ Grundlage  bildete, Bücher einer Kinderärztin, die ihr pädagogisches Werk im Rahmen der nationalsozialistischen Ideologie verfasst hatte : „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“, 1941. Auch der in der deutschen Sprache einmalige Begriff der „Rabenmutter“ hat hier seine Wurzeln. Die Familienanwältin Koppmann berichtet, dass in Süd-Deutschland noch lange Zeit nach dem zweiten Weltkrieg ledige Schwangere in Heime gebracht wurden, dort ihr Kind gebaren , das dann an Bauernhöfe verkauft wurde.

Und warum es heute noch oft so konservativ in jungen Familien läuft? „Gate keeping“ ist der Fachbegriff, der bedeutet, dass Mütter die Väter einfach nicht an die Kinder heranlassen, ihnen keine wirkliche Verantwortung für die Kinder überlassen. Dem Vater wird überlassen, mehr Geld zu bringen, die Mutter übernimmt Kinder und den gesamten „mental load“. Es ist schwer zu verstehen, wieso sich diese weit verbreitete Haltung unter jungen Leuten hält. Nach Iris Meinung muss es auch heute noch ein ausdrückliches Ziel sein, am Bewusstsein der Frauen und Männer zu diesem Verhalten zu arbeiten. „Frauen müssen das anders wollen“. Männer auch.

Auch das bleibt eine Zukunftsaufgabe für die SPDFrauen. Iris schlägt als Beispiel einen Filmabend mit einem aktuellen Film (Beispiel „1001 Minuten“, 2024 ) und dessen Diskussion vor. Das wäre ein niederschwelliger Einstieg in ein „schweres“ Thema.

Was sind weitere drängende Frauenthemen?

Iris nennt „Frauen mit Behinderung“, die seit 2020 nach dem Eingliederungshilferecht besondere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen können. Sie sieht für die betroffenen Frauen eine gefährliche Schnittstelle zur Altersarmut.

Ein zweites Thema ist für sie „Frauen im Alter“. Frauen werden häufig von gesellschaftlichen Ereignissen informell ausgeschlossen. Frauen über 50 würden häufig gar nicht wahrgenommen, höchstens wenn eine frech und eloquent sei oder sich in einer besonderen gesellschaftlichen „Oase“ befinde, wo man sie achte.

Was bleibt für Iris im Rückblick auf ihre gesamte aktive Zeit in der ASF?

Sie findet, die Zeit war „toll“. Sie habe viele Menschen kennengelernt, vieles erlebt, was sie sonst nie erlebt hätte. Sie kam durch diese Tätigkeit in der SPD „aus ihrer eigenen Blase heraus“, kam en passant in wichtige Themen und Fragestellungen rein und erlebte sich selbst als immer wieder neu und interessiert. Wer nicht politisch aktiv ist, erfährt das ihrer Meinung nach so nicht. „Privatisieren ist furchtbar“, sagt sie.

Danach gefragt, was sie jungen Frauen für die Zukunft mitgeben möchte, sagt sie:

„Sich was zutrauen, kein Blatt vor den Mund nehmen, und dabei authentisch bleiben“.

Iris, vielen Dank für das Gespräch!  

Das Interview führte Monika Kirfel im März 2024.