Hier nun das Interview mit der amtierenden Vorsitzenden der ASF – inzwischen unter dem neuem Namen „SPDFrauen“.
Seit 2022 leitet Carolin Kirsch die SPD Frauen in Köln. Sie ist 56 Jahre alt, verheiratet und hat drei erwachsene Töchter. Geboren ist sie in Walsrode in der Lüneburger Heide. Ihre familiäre Herkunft beschreibt sie in folgender Weise: Schon als Kind war sie politisch interessiert, als Leistungskurs hatte sie Politik. Starken Einfluss hatte ihr Großvater, der die SPD wählte und zahlreiche Gespräche über Politik mit ihr führte. Sein Einfluss war groß, da nach der Scheidung der Eltern die Erziehung in den Händen der Mutter und der Großeltern lag. An ihrem Vater, der CDU-Wähler war, hat sie sich ohne persönliche Konflikte dagegen „politisch abgearbeitet“, wie sie sagt, besonders natürlich in der Pubertät.
Zum Studium kam Carolin nach Köln, wo sie von 1987 – 1989 Politik und Volkswirtschaftslehre studierte. Sie trat in die SPD ein, war bei den Jusos und in der Fachschaft der Uni sowie in dem damals recht großen Ehrenfelder Ortsverein aktiv. Viele Menschen in Ehrenfeld lernte sie kennen, die ihr auf ihrem weiteren Weg immer wieder begegnen sollten.
1989 wechselte sie an die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Köln und schloss das Studium als Diplom-Verwaltungswirtin ab. Sie nahm eine Stelle bei der Stadtverwaltung Köln an und arbeitete dort bis 2016.
In der Zwischenzeit war sie 1992 nach Dünnwald gezogen. Ihren Mann, der dort sehr verwurzelt war, hatte sie bei den Jusos kennen gelernt. Sehr bald wurde sie von Gabi Hammelrath, damals Vorsitzende der ASF, in den dortigen Vorstand geholt. Zwischen 1996 und 2001 bekam die junge Familie drei Töchter.
Beruf und Politik ließ sie nie los, die Arbeit in der ASF beschreibt sie als von Gabi Hammelrath „sehr gut gemacht“, auch wenn die personelle Zusammensetzung manchmal schwierig war: „Es gibt Menschen, die kosten Zeit, und Menschen, die sind strukturiert“ – so beschreibt sie die ASF der damaligen Zeit. Bemerkenswert findet sie dabei, dass es letztlich um dieselben Themen ging wie heute, wenn auch zum Teil auf einer etwas anderen Ausgangsbasis. Carolins große Befürchtung ist dabei, dass besonders nach COVID Rückschritte erfolgt sind für die Frauen (von den Frauen?), doch mehr dazu später.
Ab 2005/6 wechselte sie in den Vorsitz des OV Dünnwald und verließ zunächst die Arbeit in der ASF.
Carolin Kirsch arbeitete nach dem Examen bei der Stadt Köln im Hauptamt, dort erlebte sie das Ende der Rossa- und den Anfang der Ruschmeier-Zeit. Zeitweise arbeitete sie im Dezernat für Schule und Sport mit Andreas Henseler, „bei dem sich alle Linken sammelten“, wie sie sagt, teilweise für die VHS als Teil des Bildungsdezernats. In der Zeit, als Henseler das Odysseum aufbaute, wurde sie für ihn als Verwaltungsleiterin des Projekts beurlaubt.
Schließlich war sie in Agnes Kleins sehr großem Dezernat für Schule, Jugend und Sport in der Finanzabteilung tätig, bis sie 2012 die Verwaltungsleitung des Schulamts für 4 Jahre übernahm.
2016 verließ sie den Arbeitgeber Stadt Köln und übernahm die Leitung des Finanzreferats der Alexander-von-Humboldt-Stiftung in Bonn. 2021 war sie Beauftragte für den Haushalt im Landesrechnungshof NRW und seit 2022 ist sie schließlich Landtagsabgeordnete in Düsseldorf.
Fragt man sie nach ihren Interessen, kommt wie selbstverständlich als erste Nennung „Gesellschaftliche Themen der Frauen, die Frage, wie diese Themen in die Partei getragen werden können und natürlich die Themen der SPD in den Wahlkreisen.“
Sie stellt dabei klar, dass die SPD es sich nicht leisten kann, sich viel mit sich selbst zu beschäftigen, das sei nicht das Interesse der Menschen, die gut und klar von ihren Abgeordneten vertreten werden wollen. Sich nur um die Frauen zu kümmern, sei dabei auch nicht zielführend. Es gehe in der Politik immer – auch bei der Interessenvertretung einer Teilgruppe wie in ihrem Fall der Frauen – um das Gesamtwohl der Gesellschaft. Die SPDFrauen in Köln (ehemals ASF) sieht sie dabei recht gut aufgestellt.
Nach ihrem politischen Herzblut gefragt, sagt sie, sie komme aus der Kommunalpolitik verknüpft mit Frauenpolitik. Genau diese Kombination halte sie für extrem wichtig in der heutigen Zeit.
Als gesellschaftspolitischen Erfolg sieht sie die Einführung der OGS (Offene Ganztagsschule), an der sie maßgeblich beteiligt war, – jedoch mit einer heftigen Einschränkung: Die OGS ist für sie das „Billigmodell“ gegenüber einer echten Ganztagsschule. Die OGS trägt zwar zur Handlungsfähigkeit der Familien bei, d. h. zur Möglichkeit der Berufstätigkeit beider Partner, aber die Konstruktion ist nicht das Ziel, das die gesellschaftlichen Strukturschwächen im Bereich „Beruf und Familie“ gelöst hätte. Zu unsicher, zum Teil unterfinanziert und unterbesetzt stellt sich in vielen Regionen die alltägliche Wirklichkeit der OGS dar. Die OGS hat als Basis nur einen Erlass, kein Gesetz, sie steht also auch rechtlich auf schwächeren Füßen als die Schule. Als Grundlage hat sie schwierige Finanzbedingungen, organisatorische Schwächen und manchmal fragliche Qualitätsstandards. Trotzdem war sie der Einstieg in umfangreichere Kinderbetreuung als früher und als solche im familienpolitisch eher konservativen Deutschland zunächst ein gesellschaftlicher Erfolg.
Dagegen als gescheitert sieht Carolin Kirsch die Bildungspolitik. Die Ziele seien seit Jahrzehnten klar formuliert („Bildungsgerechtigkeit“), jedoch tritt die Bildungspolitik auf der Stelle wie vor 50 Jahren. Herkunft, konkreter familiärer Hintergrund, oft Regionalität sind immer noch Schlüssel zum Bildungserfolg oder –misserfolg. Schule hat da in den letzten Jahrzehnten trotz starker Bemühungen keinen Paradigmenwechsel herbeiführen können. Vieles wurde versucht, aber die Analyse der Schulabschlüsse zeigt nach wie vor die hohe Korrelation von Erfolg und Herkunft. Laut Carolin „waren sogar die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts besser als das, was wir heute haben“.
Inhaltlich bringt Carolin dazu einen weiteren Gedanken ein: Ein Vorschulsystem wie in einigen Nachbarländern wäre ihrer Meinung nach gut. Dann wären die wertvollen vier Grundschuljahre nicht mit den Problemen belastet, die in der Zeit davor bei den Kindern meist noch ignoriert werden durch die Freiwilligkeit der Kindergartenzeit, in der entsprechend nicht für jedes Kind die Möglichkeit besteht, dass Benachteiligungen aufgefangen werden. Sprachentwicklung, Sozialverhalten, Konzentrationsfähigkeit hätten mit einer Vorschul-Konstruktion bereits vor Eintritt in das eigentliche Schulsystem eine Chance, gefördert zu werden.
Zurück beim Thema „Frauen“ erörtert sie, dass ihrer Meinung nach Gleichstellung heute theoretisch präsenter ist als während ihrer politischen Anfänge. Zum Beispiel sei die Besetzung einer Podiumsdiskussion nur mit Männern heute einfach nicht mehr machbar. Die Frauen seinen gesellschaftlich sichtbarer geworden, stärker durchgedrungen. Aber in der Praxis des Alltags, vor allem in Politik und Wirtschaft, habe sich nicht vieles verbessert. Manches muss heute nicht mehr diskutiert und begründet werden, das sei schon ein Erfolg. So zweifle z.B. auch niemand mehr an der Berechtigung einer ASF („SPDFrauen“). Doch sie sieht die Gefahr, dass alles eine schnelle Rückentwicklung nehmen kann, Indizien dafür seien nicht zu übersehen. Zum zweiten Mal weist Carolin im Gespräch auf den Covid-Effekt hin: Die mehrjährige Phase der gesellschaftlichen Abgeschlossenheit habe Rückentwicklungen in Gang gebracht. Altvertraute Rollen aus dem vorigen Jahrhundert haben Wiederbelebung erfahren (Verteilung der Familienarbeit unter Home-office-Bedingungen). Positiv sieht Carolin jedoch, dass dies auch recht breit diskutiert wird, und sie hofft, dass der negative Einfluss auf gleichberechtigte Familienstrukturen – vor allem in den Köpfen der Mädchen und jungen Frauen – schnell wieder überwunden wird.
Auf die Frage, was für sie die dringlichsten Frauenthemen sind, antwortet sie als Landtagsabgeordnete mit konkreten Beobachtungen: Buchforst zum Beispiel habe den höchsten Anteil an alleinerziehenden Frauen in Köln, diese Frauen leben zum Teil in prekären Situationen, in der die Frage, was macht die berufstätige Frau ohne Betreuungsaussicht für ihre Kinder, nicht beantwortet ist. Zu beobachten sei, dass dies gleichzeitig eine Armutsfalle für diese betroffenen Kinder bedeute. Hier sei viel mehr Unterstützung notwendig mit mehr echtem Ganztag und auch außerschulischer Betreuung.
Carolin arbeitet intensiv daran, dass die freien Träger im Boot bleiben, auch wenn die Finanzen schwächer zu werden drohen. Ihr Fazit hierzu ist – so bereits oben bei den Bemerkungen zur OGS angedeutet – dass mehr staatliche Aktivität her muss und weniger Trägerlandschaft, wenn für die Bildung der nächsten Kindergeneration Fairness gelten soll. Denn bei zurückgehendem Haushaltsvolumen ist die Gefahr groß, dass die freien Träger als erste wegknicken. Hier sieht sie bei reduzierter Finanzierung der Träger im OGS-Bereich die große Gefahr, dass Frauen- und hier besonders Altersarmut wieder neu geschaffen werden.
Wohin entwickelt sich zur Zeit die Gesellschaft für die Frauen?
Carolin ist überzeugt, dass Frauen in den meisten Fällen immer noch nur bis zu einem bestimmten Punkt „aufsteigen“: Die gläsernen Decken sind geblieben, sie haben sich vielleicht ein bisschen verschoben oder angehoben.
Sie sieht die Gefahr, dass wir in 20 Jahren eine andere Gesellschaft haben als in der bisherigen Entwicklung auf der Basis der Demokratieerfahrung nach dem Zweiten Weltkrieg. Die jungen Menschen, die jetzt aufwachsen, haben ganz neue kulturelle Erfahrungen (die digitale Welt ist dazugekommen), sie entstammen in Teilen ganz anderen Kulturkreisen. Es ist richtig, dass sich eine Gesellschaft weiter entwickelt, das Problem wird aber groß, wenn sie dabei die Beziehung zu den Werten und Hintergründen , aus denen sich unsere Demokratie speist, verliert. Welchen Einfluss hat dieser Verlust des Demokratiewissens und –lebens auf die Gesellschaft der Zukunft? Wird sie wieder viel rollenkonservativer? Gibt es den Verlust von erkämpften Rechten? Allein die konservativen Familienstrukturen (Männer- und Frauenrolle) werden starken Einfluss auf die Einstellung der Menschen haben.
Carolin fragt, was dürfen Mädchen in der Zukunft, was nicht? Nach ihrer Ansicht wird dieses Problem bisher nicht genug beobachtet. Die Frage ist, ob Schule es allein schaffen kann, die Gleichstellung der Mädchen in der Gesellschaft zu fördern, wenn die Familienstrukturen konservativ sind, die Medienöffentlichkeit fast ausschließlich konsumorientiert, die Arbeitswelt familienunfreundlich auf Kosten der Frauen – wo bleibt dann der positive Veränderungsschwung, den z.B. die 60er und 70er Jahre im 20.Jahrhundert zum Teil hatten? Auch in der SPD selbst bzw. ausgehend von ihr muss da mehr geschehen, sagt Carolin.
Aber nicht nur der kritische, auch der positive Blick ist bei ihr da: Carolin arbeitet im Landtag intensiv am Thema Weiterbildung als einem besonderen sozialdemokratischen Themenfeld. Ganz wichtig sind ihr die Menschenrechte und im Thema „Iran“ ist sie stark involviert. Und inzwischen wurde sie zum zweiten Mal als eine der beiden Vorsitzenden der SPD-Frauen gewählt, in einen „Job“, den sie mit viel Schwung wahrnimmt.
Ihr abschließender Appell lautet, dass die SPD sich auch viel mehr an die Frauen mit Migrationshintergrund richten muss, dabei besonders an die ab der Familienphase und diejenigen, für die eine berufliche Weiterbildung von Interesse sein kann. Diese Frauen müssen abgeholt und an die sozialdemokratische Tradition herangeführt werden. Gerade auch sie sollten stärker Mandate bekommen, um an der Zukunftsgesellschaft unter sozialdemokratischer Zielsetzung mitzuarbeiten.
Carolin, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Monika Kirfel Im Februar 2024.